Die Gründung dieser
Facheinrichtung war vor 25 Jahren wegweisend: Als der Bochumer Caritasverband
im September 1991 in Kooperation mit dem Jugendamt der Stadt Bochum und der
Kinderklinik im St. Josef-Hospital die Beratungsstelle "Neue Wege"
eröffnete, gab es noch keine professionellen Hilfeangebote für Kinder, die
Opfer von sexuellem Missbrauch waren. Am Mittwoch würdigten bei einem Festakt
im Caritas-Fortbildungszentrum an der Ostermannstraße u. a. Sozialdezernentin
Britta Anger, Professor Dr. Thomas Lücke, Direktor der Bochumer Kinderklinik,
und Stadtdechant Michael Kemper die Verdienste der Einrichtung, die
mittlerweile weit über die Bochumer Stadtgrenzen hinaus als kompetenter Partner
für Kinder in Not bekannt ist.
In den vergangenen 25 Jahren hat sich viel getan. War sexueller Missbrauch
Anfang der 90er Jahre noch ein Tabuthema, existiert dafür heute ein breites
öffentliches Bewusstsein. Caritasdirektor Ulrich Kemner brachte diesen Wandel
in seiner Ansprache auf den Punkt: "Sexualisierte Gewalt an Mädchen und
Jungen findet täglich, real und überall statt. Sexueller Missbrauch gehört nach
wie vor zum Grundrisiko einer Kindheit in Deutschland."
Die Zahlen der aktuellen Kriminalstatistik sind erdrückend: Pro Jahr werden in
Deutschland 130 Kinder getötet. 3.900 sind von körperlicher Gewalt betroffen.
Die Dunkelziffer umfasst ein Vielfaches. Schätzungsweise eine Million Kinder
sind Opfer sexuellen Missbrauchs. Zugleich haben in den letzten 25 Jahren 5.000
Kinder und Jugendliche in der Beratungsstelle "Neue Wege" Hilfe
gefunden. Von der akuten Krisenintervention über Diagnostik und Therapie,
Beratung und Unterstützung der Eltern bis hin zu Präventions- und
Öffentlichkeitsarbeit – für das multiprofessionelle Team aus Psychologen,
Sozialarbeitern und Heilpädagogen steht der Schutz von Kindern an allererster
Stelle.
Aus diesem Grund wurde die Opferarbeit im Jahr 1998 um ein Therapie-Angebot für
jugendliche Täter erweitert. Anlass war der vielfach geäußerte Wunsch der
Betroffenen, die Täter einer geeigneten Behandlung zuzuführen. Hinzu kam die
Erkenntnis, dass viele junge Missbraucher in der Vergangenheit selbst Opfer von
Gewalt waren. Mit diesem doppelgleisigen Konzept leistete "Neue Wege"
damals vielbeachtete Pionierarbeit. Seit Ende 2008 werden außerdem Kinder und
Jugendliche betreut, die Zeugen häuslicher Gewalt sind.
" 'Neue Wege' war den anderen oft voraus und hat die heutigen Standards im
Umgang mit sexuellem Missbrauch entscheidend mitgeprägt", benannte
Matthias Nitsch vom Vorstand der DGfPI in seinem Grußwort die Bedeutung der
Bochumer Einrichtung. Trotzdem gibt es nach wie vor Hürden, die verhindern,
dass Kindern geholfen wird. Das machte Carmen Kerger-Ladleif, langjährige
Mitarbeiterin der Hamburger Fachberatungsstelle "Dunkelziffer" und
Buchautorin, in ihrem Festvortrag deutlich: "Obwohl wir inzwischen alle
wissen, dass es Missbrauch gibt, sind die meisten Menschen erst einmal völlig
überfordert und würden den Verdacht am liebsten weit von sich wegschieben."
Damit würden aber letztendlich nur die Täter unterstützt. Was Kinder wirklich
bräuchten, seien Erwachsene, die ihnen zuhören und sie ernst nehmen. Sich
selbst Hilfe zu holen, sei deshalb der erste wichtige Schritt. Dieser liegt
auch Monika Bormann, Leiterin von "Neue Wege" sehr am Herzen:
"Wir laden jeden ein, der einen Verdacht hat, zu uns zu kommen und
gemeinsam mit uns zu überlegen, was zu tun ist. Es ist allemal besser,
festzustellen, dass man falsch liegt, als im Ernstfall wegzusehen."
Foto:
Monika Bormann, Leiterin von "Neue Wege"