Jedes Jahr werden in Deutschland 13.000 bis 16.000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch angezeigt. Die meisten Täter sind Erwachene. Aber knapp ein Drittel dieser sexuellen Übergriffe werden von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden unter 21 Jahren verübt. Nicht selten handelt es sich dabei um Minderjährige, die eine vergleichsweise schwache Intelligenz haben. Für diesen Personenkreis hat jetzt die Ärztliche und psychosoziale Beratungsstelle Neue Wege des Caritasverbands für Bochum ein neues therapeutisches Hilfeangebot eröffnet, das die eingeschränkte kognitive, soziale und emotionale Entwicklung der Jugendlichen berücksichtigt.
Die Fachabteilung „Ambulante Rückfallvorbeugung“ der Beratungsstelle Neue Wege kümmert sich bereits seit 1998 mit Erfolg um sexuell übergriffige Kinder und Jugendliche, die zumeist jüngere Kinder sexuell missbraucht haben, oft in der eigenen Familie. Im Jahr 2007 wurden 218 Minderjährige beraten, rund 60 Kinder und Jugendliche erhielten eine langfristige Einzel- bzw. Gruppentherapie. In diesen zehn Jahren wurde deutlich, dass die Zahl sexuell auffälliger Jugendlicher mit starker Intelligenzminderung überdurchschnittlich hoch ausfällt. Werner Meyer-Deters, Leiter der Fachabteilung sieht dringenden Handlungsbedarf: „Wenn wir bei diesen Jugendlichen weitere Missbrauchsfälle vermeiden wollen, müssen wir unsere Arbeit mit diesem Personenkreis individuell intensivieren. Die Jugendlichen haben einen eigenen Lernbedarf und ein spezifisches Lerntempo. Sie brauchen ein besonderes Hilfsangebot, um sich zu entwickeln.“
Um diese Aufgabe zu bewältigen, wird die „Ambulante Rückfallvorbeugung“ von Neue Wege zukünftig mit einer heilpädagogischen Intensivwohngruppe zusammen arbeiten. Im Rahmen dieser Kooperation übernimmt Neue Wege in Abstimmung mit den für den Minderjährigen zuständigen Jugendämtern die ambulante therapeutische Arbeit mit den jugendlichen Missbrauchern und ihren Familien. Für den Fall, dass ein zu großes Rückfallrisiko im bisherigen Lebensumfeld besteht, ist eine zeitweilige Unterbringung in der Intensivwohngruppe vorgesehen.
Jetzt wurden die Kooperationsverträge zwischen dem Bochumer Caritasverband als Träger von Neue Wege und dem Kinderheim unterzeichnet. Caritasdirektor Ulrich Kemner versteht das neue Projekt als wichtigen Baustein für die Integration benachteiligter junger Menschen in unsere Gesellschaft. Analog zum diesjährigen Caritas-Jahresthema „Achten statt ächten“ erhielten Jugendliche damit die Chance, wieder am normalen Leben teilzuhaben. Kemner fordert: „Jugendliche sind nicht immer pflegeleicht. Doch das ist kein Grund, sie links liegen zu lassen. Egal welche Probleme sie uns bereiten, wir müssen Jugendliche respektieren.“